Schamanin
|
So, jetzt muss ich leider weiter ausholen, über das Zusammenleben mit meinem jüngsten Sohn.
Das erste Problem seiner Überforderung (aber da wußten wir noch nichts und wohnten zur Miete, es ließ sich also nicht ändern): er hat 3 lebhafte Brüder und musste sich das Zimmer mit ihnen teilen. Jetzt (im eignen Haus) hat er ein eigenes Zimmer. Das sieht so aus: mit Blumenfolie überklebte Fenster (er reißt alles runter, was hängt, auch Vorhänge, die Straße führt aber vorbei, jeder muss nicht reinsehen), ein Kasten, der Boden mit Matratzen ausgelegt, Teppich mit Schaumgummi drunter an der Wand, damit er sich nicht am Kopf verletzt, wenn er wieder mit dem Kopf gegen die Wand klopft (aus Langeweile oder Überforderung), keine Bilder, nur weiche Bälle, Polster, keine Spielsachen - er wirft nur alles, spielt nicht damit.
Da meine anderen 3 Kinder Schule und Kindergarten gingen, als er zur Welt kam und mein Mann arbeiten musste, war er überfordert allein durch die Tatsache, dass wir vor die Haustüre in die Welt mussten (2x täglich), ich konnte nicht mit ihm spazieren gehen (das verhinderte er, in dem er sich so lange erbrach, bis ich nichts mehr zum Anziehen hatte). Ich konnte ihn auch schließlich mit ein paar Monaten nicht allein zu Hause lassen.
Er hatte auch keinen Tag/Nacht-Rhythmus: er schlief 1 Stunde, war 20 Minuten munter, schlief wieder und so fort, die Abstände waren immer unterschiedlich. Am ehesten war er noch in der Nacht munter.
Dann begann der Diagnoseweg: regelmäßige Termine auf der HNO-Klinik, Augenklinik, Kinderklinik, Therapietermine. Er galt als Spätentwickler - also wurde er überfordert, erst die Ergotherapeutin begann mir über veränderte Wahrnehmung zu erzählen und konnte in seinem Gesicht Zustimmung und Abneigung deuten.
Ich begann zu begreifen, wie sehr er überanstrengt war und versuchte Druck rauszunehmen und nur noch notwendige Termine zu erfüllen (da ich aber niemanden hatte, wo ich meinen Sohn hingeben konnte, musste er zuviel mit). Also entweder schlief er oder er saß vor der weißen Wand oder er wedelte seine Finger vor den Augen, mehr tat er nicht! Irgendwann setzte ich mich instinktiv zu ihm auf den Boden und wedelte mit den Fingern mit.
Da er auch nicht reagierte, wenn ich mit ihm was machen wollte, begann ich damit, mich einfach mit ausgestreckten Beinen am Boden in sein Zimmer zu setzen. Ich wartete, bis er zu mir kam. Dann konnte ich die schönen Dinge mit ihm machen, die ich aus der Ergotherapie kannte: hüpfen, kneten, drücken, klopfen.
Ganz langsam tauchte ich in seine Welt ein und erweiterte in seinem Tempo unser "Spiel". Stück für Stück wurde ich zu seiner weißen Wand, denn die hat er immer mit. Er vertraut mir, er vertraut meinem Mann (der kann noch besser auf ihn eingehen) und seinen Großeltern (bei den beiden hatte er eine zeitlang einmal in der Woche Urlaub von seiner Familie). Er hat eine Beziehung zu uns, ich werde sie nicht enttäuschen. Doch damit ich das aufrechterhalten kann, brauch ich Unterstützung für meine anderen 3 Kinder und den Haushalt - mein Mann geht arbeiten.
Mit Therapeuten hab ich die Erfahrung gemacht, dass sie seine Grenzen nicht akzeptieren und mehr verlangen, als er kann und dann sitz ich wieder mit ihm im Zimmer, denn jetzt fordert er von mir.
Ohrenstöpsel funktionieren leider nicht, bei seinen Ohren kann ich nichts machen. Ich versuch so gut es geht, die Reize überhaupt zu minimieren, da ihn wie gesagt das Leben allgemein überfordert. Es hat sich aber das Hören, Sehen, Schmecken und vestibuläres System verbessert. Er ist belastbarer geworden.
Eine Frage zur weißen Wand, an die, sie auch brauchen: seid ihr wirklich glücklich, wenn ihr davor sitzt oder würdet ihr euch wünschen, dass auf eure Wahrnehmung mehr Rücksicht genommen wird?
Ich hab es bei meinem Sohn nicht so empfunden, er ist jetzt zufriedener, wo er mehr machen kann, er ist auch nicht mehr gerne allein in seinem Zimmer.
Leider muss ich auch viele Dinge machen, die er nicht mag: wickeln, duschen, ab und an Haare waschen und föhnen (das bringt ihn sehr lange durcheinander), einkaufen, er wird noch immer um 4 Uhr munter, ich muss ihn füttern (er hat noch keine Kontrolle über seine Finger und die Übungen sind sehr anstrengend für ihn).
Durch diese Dinge ist es sehr schwer, eine Regelmäßigkeit reinzubringen, denn auch ich kann nicht immer so, wie ich gerne möchte.
Und was ich nicht missen möchte: an ganz guten Tagen kann er lachen, wirklich lachen. Über das was ich tue und das was er tut.
Danke für euer Interesse
Schamanin
|